Es ist mit Sicherheit das sensibelste, komplexeste und schmerzhafteste Thema, dem sich die Vertreter*innen der evangelischen Kirche im Rahmen der Landessynode in Coburg stellen müssen: Die ForuM-Studie und das damit verbundene Thema des sexuellen Missbrauchs.

Es ist nicht leicht, über dieses Thema angemessen zu sprechen. Es war auch sicher für die Verantwortlichen der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern nicht leicht, das Thema sexualisierte Gewalt in den Ablauf der Landessynode angemessen einzubinden.

Am wenigsten leicht war es jedoch wohl für die von sexualisierter Gewalt Betroffenen Detlev Zander und Karin Krapp, am Montag im Rahmen des Bischofsberichts vor den Synodalen zu sprechen. Der 62-jährige Zander wurde als Kind jahrelang im Kinderheim der evangelischen Brüdergemeinde Korntal missbraucht, vergewaltigt, geschlagen – er sagte in einem Interview später über sich, er könne nicht mehr glauben und werde aus der Kirche austreten. Karin Krapp ist heute evangelische Pfarrerin in Weimar.

ForuM-Studie und sexualisierte Gewalt auf der Landessynode der ev.-luth. Kirche in Bayern

Es sei aufgrund der Geschäftsordnung nicht anders möglich gewesen, als die Betroffenen im Rahmen des Bischofsberichts unterzubringen, sagte Landesbischof Christian Kopp auf der Pressekonferenz am Montag. Etwas befremdlich wirkte es schon, dass Zander und Krapp während der gesamten ersten vier inhaltlichen Punkte der Rede neben Kopp, der selbst an einem Sprecherpult stand, etwas zurückgesetzt auf Stühlen saßen.

Die Arme verschränkt, die Gesichter ausdruckslos, auf ihren Einsatz wartend – während der Landesbischof über Themen wie schlankere Verwaltungsstrukturen oder die Folgen der Corona-Pandemie sprach, immer wieder auch witzige Anmerkungen machte.

Dann, schließlich, zu Punkt 5 des Berichts, durfte zunächst Krapp und dann Zander vor das Plenum treten.

Zum ersten Mal an diesem Tag wurde es in der Coburger Kongresshalle dann so richtig still. Eine Tatsache, die Zander, der Sprecher des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt (BeFo) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist, positiv auffiel, wie er im Nachhinein sagte.

Die Betroffenen Detlev Zander und Karin Krapp kamen zu Wort

Die Worte, die sowohl Krapp als auch Zander an die Synodalen, den Landesbischof und die Kirchenleitung richteten, waren so relevant, so eindringlich, so intensiv, dass sie an dieser Stelle in Auszügen wiederholt werden müssen:

  • Karin Krapp: "Ich habe gestaunt, dass alle in der Studie beschriebenen Abwehrreaktionen in den Tagen nach der Veröffentlichung wieder deutlich wurden. Die Relativierung, dass Kirche doch so viel Gutes machen würde, zum Beispiel. Relativierung kenne ich aus eigener Geschichte. Er schützt mich. Manchmal ist die Gewalt, die ich erlebt habe, kaum auszuhalten, dann brauche ich diesen Schutz. Und sage mir selbst zum Beispiel: ‚Der Täter war auch ein guter Freund‘, ‚Er hat auch so viel gutes initiiert‘, ‚Wer weiß, ob ich ohne ihn Pfarrerin geworden wäre.‘ Aber das ist mein Schutz als Betroffene, wenn die Wahrheit dahinter so viel Abgründe zutage bringen würde. Aber ich frage mich: Braucht die Kirche solchen Schutz? Muss sich eine Kirche des Gekreuzigten nicht nackt und hilflos zeigen und damit offen für die Abgründe, die ich nicht immer zeigen kann und will?"
     
  • Karin Krapp: "Die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern hat Aufarbeitung bislang vor allem in der Schaltzentrale in München betrieben. Gemeinden wissen oft gar nichts von den Missbrauchsfällen vor Ort. Es ist an der Zeit, dass sexualisierte Gewalt nicht wegdelegiert wird, sondern vor Ort, wo sie geschehen ist und geschieht, wahrgenommen wird. Gemeinden haben gesehen, geschwiegen, sich abgewendet."
     
  • Karin Krapp: "Gehen Sie mit der Studie in die Gemeinden. Lesen Sie und reden Sie darüber. Verfallen Sie nicht in das nächste Schweigen. Aufarbeitung muss jetzt weiter gehen. Menschen vor Ort müssen wissen, was bei ihnen geschehen ist – hinter verschlossener Tür, oder manchmal auch vor ihren Augen. Wenn Sie die Studie gelesen haben, werden Sie nicht umhin kommen damit zu rechnen, dass ihre Pfarrperson, der Jugendleiter, ihre Kindergärtnerin Täter*in ist. Ja, wir werden lernen müssen, Menschen gegen unser Vertrauen solche Taten zuzutrauen. Und Sie werden nicht umhinkommen, damit zu rechnen, dass der Mann, der mit Ihnen im Tenor sitzt, die Frau, die mit Ihnen über den Jahresabschlussrechnungen schwitzt, ihr Pfarrer selbst, Betroffener ist. Wir sind da, immer noch. Reden Sie nicht so, als wären Sie es nicht."
     
  • Detlev Zander: "Ich möchte Sie ernsthaft mit einer Frage konfrontieren. Was würden Sie machen, wenn Ihr Kind, ihr Enkel oder ihre Enkelin Missbrauch erlebt hätte. In Ihrer Kirche? Was würden Sie dann tun?"
     
  • Detlev Zander: "Es braucht eine Haltung. Ich erwarte von jedem, dass er oder sie mit dieser Studie umgeht. Dass die Studie angenommen wird. Dass sie nicht wegdiskutiert wird. Dass sie nicht wegmoderiert wird. Ich erfahre immer wieder: die wissen von gar nichts."
     
  • Detlev Zander: "Wenn wir nicht immer wieder in die Öffentlichkeit gehen und den Finger in die Wunde stecken und polarisieren, wird nichts geschehen. Und ja, ich habe mich geärgert, ich habe mich auch über die Präsidentin geärgert und über den Landesbischof, wie kommuniziert wurde und ich glaube, die Lehre daraus kann nur sein, dass es eine klare, einheitliche Sprache braucht. Es muss jedem klar sein, um was es tatsächlich geht. Jeder muss, wenn er morgens aufwacht, die ForuM-Studie vor sich aufploppen sehen."
     
  • Detlev Zander: "Nicht sagen: wir werden, wir sollten, wir müssen. Einfach machen."
     
  • Detlev Zander: "Wir haben euch so viel gegeben, jetzt macht was draus. Es darf nicht sein, dass die Betroffenen immer alles ankreiden und von euch kommt nichts."
     
  • Detlev Zander: "Prävention ist keine Aufarbeitung. Menschen verstecken sich gerne hinter Prävention, wir tun ja was, wir machen ja Schulungen und so weiter, aber eine Prävention gelingt nur dann, wenn ich alles aufgeklärt und aufgearbeitet habe."

Nach den Reden dankte Landesbischof Kopp, der währenddessen einen der beiden freigenommen Stühle hinter dem Mikrofon eingenommen hatte, den beiden Redner*innen, zitierte Martin Luther und schloss das Thema mit den Worten: "Eigentlich haben wir doch alles im Gepäck, um respektvoll, aufmerksam und voller Mitgefühl mit Menschen in Kontakt zu sein. Es liegt an uns allen."

Krapp und Zander, zurück auf ihren Stühlen in zweiter Reihe, gingen wie alle anderen anschließend zwangsläufig zum nächsten Punkt des Bischofsberichts über, einige Sätze später wurde im Plenum schon wieder gelacht. Die Aussprache im Plenum folgte aus Zeitgründen erst später am Nachmittag.

Ob die Art und Weise, wie die beiden Missbrauchsbetroffenen in die Landessynode eingebunden wurden, die sensibelste war, bleibt dahin gestellt – entscheidend ist, dass sie eingebunden und gehört wurden.

Ob es nicht doch, Geschäftsordnung hin und her, möglich gewesen wäre, den Betroffenen und dem Thema eine eigene Bühne zu geben, darf zumindest nachgefragt werden.

Entscheidend ist auch, dass sowohl Krapp als auch Zander bei der anschließenden Pressekonferenz positiv bekräftigten, dass die Hemmschwelle, sie anzusprechen und über das Thema sexualisierte Gewalt ins Gespräch zu kommen, durch ihre Einbindung auf der Landessynode gesunken sei.

Entscheidend ist am Ende, WAS sie gesagt haben, denn das geht nicht nur die Mitglieder der evangelischen Landessynode – sondern uns alle an.

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Klaus Spyra am Mo, 22.04.2024 - 21:43 Link

Was ist denn nun aus dem Aktenscreening der ELKB durch externe Experten geworden? Liegt da eine Aussage der Kirchenleitung oder ein Beschluss der Landessynode vor?
"Landeskirche will Personalakten von externen Experten sichten lassen
Mittwoch, 28. Februar 2024, 15:50 Uhr
Im Nachgang zur ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in evangelischer Kirche und Diakonie will die bayerische Landeskirche nun auch alle Personalakten auf Verdachtsfälle sichten lassen. Ziel sei, dass externe Fachleute alle verfügbaren Personalakten der Landeskirche durchsehen, sagte ein Kirchensprecher dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Mittwoch auf Anfrage. Ein offizieller Beschluss der Kirchenleitung dazu liege allerdings bisher nicht vor. Eine Arbeitsgruppe plane derzeit die Umsetzung des auf zwei Jahre angelegten Akten-Screenings.

Die Herausforderung sei, dass die Personalakten der Landeskirche dezentral in ganz Bayern gelagert würden, sagte der Kirchensprecher weiter. Es gebe direkte Beschäftigte der Landeskirche, aber auch Beschäftigte in den einzelnen Dekanaten und kirchlichen Einrichtungen. Zunächst müssten alle Personalakten digitalisiert werden, um sie den externen Experten leicht zugänglich zu machen. Als externe Experten habe Landesbischof Christian Kopp pensionierte Kriminalbeamte oder Staatsanwälte ins Gespräch gebracht, die für das Akten-Screening ein Honorar erhalten sollen."