Sie ist Expertin für Storytelling und hat untersucht, wie Künstliche Intelligenz die Kinofilme prägt: Nadine Hammele im Gespräch beim Podcast "Ethik Digital. Das Interview ist die stark gekürzte Version des Videos.

Nadine, du bist Storytelling-Expertin und hast an der Universität Passau promoviert über Künstliche Intelligenz im Film. Woher kommt dein Interesse für künstliche Intelligenz und digitale Ethik?

Nadine Hammele: Ich habe bei Professor Dr. Petra Grimm an der Hochschule der Medien studiert, dort haben wir in einem Seminar auch Science-Fiction-Filme über künstliche Intelligenz analysiert. Ich fand künstliche Intelligenz ein super spannendes Thema für filmwissenschaftliche Analysen. Daraufhin wollte ich tiefer in das Thema einsteigen und habe deshalb promoviert.

Wie bist du vorgegangen?

Hammele: Ich habe über 100 Filme über künstliche Intelligenz angeschaut und überlegt, wie darin das Thema Künstliche Intelligenz verhandelt wird. Ich habe mich dafür entschieden, die narrative Struktur der Filme zu untersuchen. Also da gibt es dann etwa eine Künstliche Intelligenz, die außer Kontrolle gerät und Menschen bedroht oder eine KI, die den Menschen ähnlich ist und sich befreien möchte. Ich habe untersucht, welche Probleme sich Menschen in Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz vorstellen und wie diese Probleme in den Filmen gelöst werden.

Welche zentralen Erkenntnisse hast du gewonnen?

Hammele: Die untersuchten Filme über künstliche Intelligenz waren allesamt nahbare Zukunftsentwürfe, also unserer Welt sehr ähnlich. Aus diesen kann man drei Kategorien anhand der narrativen Struktur ableiten: Dazu zählen das Bedrohungsnarrativ, wie eben schon geschildert, und das Befreiungsnarrativ. In diesem ist die KI ein Held der Geschichte und bekommt Unterstützung von Menschen bei ihrer Befreiung aus der Gefangenschaft. Und dann gibt es noch eine dritte Kategorie, das Beziehungsnarrativ: Das sind Filme, in denen eine menschliche Hauptfigur eine Liebesbeziehung mit einer künstlichen Intelligenz eingeht, also zum Beispiel "Her", wo sich ein Mann in seine Sprachassistenzsystem verliebt. Es fallen nicht nur romantische Liebesbeziehungen in die Kategorie, sondern auch Eltern-Kind-Beziehungen wie im Film "A.I. – Künstliche Intelligenz" von Steven Spielberg. In diesem holt sich ein Ehepaar, dessen Kind im Koma liegt, einen KI-Androiden als Ersatzkind. Diese Liebesbeziehung zwischen Mutter und Kind ist konfliktreich und scheitert.

Während die KI im Bedrohungsnarrativ eindeutig böse und im Befreiungsnarrativ eindeutig gut ist, agiert sie beim Beziehungsnarrativ auf einem breiten Spektrum – von mitleiderregend bis unheimlich, aber auch oft sehr ambivalent.

 

Welche Erkenntnis aus deiner Forschungsarbeit hat dich überrascht?

Hammele: Erstaunlich ist die geschichtliche Entwicklung. Eine Künstliche Intelligenz besetzt erst seit den 1970er Jahren eine narrative Position in Filmen mit nahbaren Zukunftsentwürfen. Zwar gab es zuvor schon Filme über ferngesteuerte Roboter, aber dass die Künstliche Intelligenz selbst ein Akteur in einer realitätsnahen Welt ist, das gab es erst 1970.

Interessant war es auch zu sehen, dass sich um 2010 die Geschichten verändert haben. Die Erzählmuster haben sich gewandelt, da es immer mehr Mischformen aus den drei Metanarrativen gab. Filme sind ja Teil unseres kulturellen Wissens und ab 2010 wurde mit diesem Wissen und mit gewissen Erwartungen gespielt.

Von den 71 Filmen, die ich untersucht habe, gab es einige wenige Sonderfälle, die in die 2010er-Jahre fallen und für sich stehen. Einer davon ist "Robot & Frank." In diesem geht es darum, dass ein Rentner einen humanoiden Roboter zu sich nach Hause nimmt, der für ihn sorgen soll. Zuerst lehnt er den Roboter ab, dann freundet er sich aber an und entwickelt ein gemeinsames Hobby, und zwar begehen sie kleinere Diebstähle. Und der Roboter versteht dabei überhaupt nicht, dass er gerade eine Straftat begeht. Filme der 1970er bis 2000er-Jahre waren relativ leicht in eine Kategorie zuzuordnen. Ab 2010 waren die Erzählmuster komplexer, sodass die Zuordnung schwieriger war.

Inwieweit werden in den Filmen ethische Fragestellungen berührt?

Hammele: In jedem Film spielen Werte eine Rolle. Wie ein Held in einer Geschichte handelt, ist immer von Normen und Werten geprägt. Wenn die Künstliche Intelligenz zum Beispiel bedrohlich wird, dann kämpft der menschliche Held für Werte wie Autonomie, Sicherheit oder Leben. Und natürlich erkennt man am Verhalten der Figuren, welche Werte im Film als wichtig markiert werden oder welche Werte es zu schützen gilt.

Ab 2008 beschäftigen sich viele Filme vermehrt mit der Überwachung des Menschen. In diesen wird eine KI als eine Art Diktator dargestellt, der jeden Raum, jeden Ort und jedes Handy überwacht und abhört. Und natürlich geht es dann auch um Datenautonomie und -sicherheit. Man kann daran erkennen, wie die Filme widerspiegeln, welche Themen unsere Gesellschaft gerade umtreiben.

Viele Filmszenen eignen sich, um über ethische Fragestellungen zu diskutieren. In "I, Robot" gibt es eine Szene, in der die KI erklärt, sie wolle über den Menschen herrschen, weil sie das besser könne, denn der Mensch führe Kriege und vergifte den Planeten. Dafür nimmt sie auch in Kauf, einige Menschen zu töten, damit es der Gesamtheit besser geht. An solch einer Szene kann man utilitaristische Herangehensweisen und Denkweisen schön veranschaulichen.

Filme haben den großen Vorteil, dass Werte nicht abstrakt bleiben, sondern in einen größeren Sinnzusammenhang eingebettet sind. Deshalb haben wir am Institut für Digitale Ethik bei Professorin Grimm auch oft mit Geschichten gearbeitet, um Werte zu verdeutlichen.

 

Nadine Hammele über KI im Film

Welchen Film müsste ein Regisseur heute über KI drehen?

Hammele: Meine Studie hat verdeutlicht, dass sich die meisten Filme mit einer starken Intelligenz beschäftigen. In diesen ist die KI dem Menschen ebenbürtig oder überlegen, sowohl hinsichtlich der analytischen Intelligenz, aber auch in Hinblick der Gefühle und der sozialen Intelligenz, und das entspricht ja überhaupt nicht unserer Realität.

Ich würde mehr Filme über eine schwache künstliche Intelligenz, die realitätsnah ist, drehen. Zum Beispiel wie es der Film "War Games" zeigt, wenn eine künstliche Intelligenz gefährlich wird, weil sie gar nicht versteht, was sie eigentlich tut. Sie kann Simulation und Realität nicht unterscheiden.

Auch bei "Robot & Frank" versteht der KI-Roboter nicht, dass er gerade Diebstähle begeht. Der KI-Roboter hat kein Weltwissen, wie es Menschen haben. Als Filmemacher könnte man mehr in die technischen Aspekte reingehen und verdeutlichen, dass eine KI gerade nicht wie ein Mensch denkt und handelt. Darüber hinaus könnte man außerhalb dieser drei Narrative Geschichten entwickeln – also Filme wie jene, die ich als Sonderfälle betitelt habe.

Fehlt es vielleicht auch einfach an Ideen, aus diesen Errungenschaften wie etwa gerade ChatGPT3 eine Story zu entwickeln?

Hammele: Das kann durchaus sein. Wenn KI nur ein Tool ist, das von einem Programmierer genutzt wird, dann wäre er ja der Bösewicht der Geschichte. Dann besetzt die KI keine eigene Figurenposition. Im Storytelling werden typischerweise Charaktere ausgewählt, die bestimmte Motive verfolgen. Wenn KI Handlungsmotive besitzt, wird sie ja schon vermenschlicht. Nur selten ist das nicht der Fall, wie etwa in "War Games."

Wie ist das: Verstärken Filme noch die Angst der Bevölkerung in Bezug auf die Nutzung von KI? Oder können sie diese auch bekämpfen?

Hammele: KI-Filmen liegt häufiger das Bedrohungsnarrativ zugrunde, also eine KI, die uns bedroht oder einsperrt und umbringen möchte. Das sind definitiv überzogene Ängste. Sie lenken auch von den Themen ab, über die wir uns aktuell vielleicht mehr Gedanken machen sollten, etwa die Frage, wie wir KI in bestimmten Bereichen regulieren oder gestalten wollen. Die Mystifizierung von KI kann davon ablenken.

Du bist als Speakerin auf der Shift in Zürich, was erhoffst du dir von der Tagung?

Hammele: Ich finde es toll, wenn man sich mit Leuten vernetzt und mit anderen Disziplinen einen anderen Blickwinkel auf das eigene Thema bekommt. Ich will in meinem Vortrag die Thesen mit aktuellen Werbespots in Verbindung bringen und zeigen, wie Unternehmen bestimmte Narrative aufgreifen. Wir sollten überlegen, was Narrative für Unternehmen bedeuten könnten. Aber diese gegenseitige Inspiration finde ich schön – und ich freue mich, dass die Konferenz live vor Ort stattfinden kann.

Wie bringst du Ethik in deine Arbeit?

Hammele: Ich helfe Unternehmen in Workshops, Geschichten zu finden, die sie erzählen können – also von der Gründungsgeschichte oder Umwälzungen in der Unternehmenskultur. Es können aber auch Geschichten sein, die man sich für die Zielgruppe überlegt, um zum Beispiel das Produkt zu bewerben. Dabei reflektieren wir natürlich auch Werte, denn die Geschichten müssen zu den Werten des Unternehmens, der Marke und der Zielgruppe passen.

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