Sie ist Muslimin und arbeitet in der Evangelischen Erwachsenenbildung in Pforzheim. Dass sie einmal bei der Kirche angestellt sein wird, hätte sich die gebürtige Serbin Mirzeta Haug früher nicht vorstellen können.
Geboren wurde Haug in Novi Pazar, das im Sandschak, einer Gebirgsregion im Süden Serbiens, liegt. Ihre Familie gehörte der muslimischen Minderheit des Landes an. In ihrem Geburtsort waren zwar rund 80 Prozent der Menschen Muslime, trotzdem wurden dort alle wichtigen Ämter wie Lehrer, Richter und Bürgermeister von christlich-orthodoxen Serben besetzt, erzählt sie.
"Wir wurden nie als gleichberechtigte Bürger angesehen."
Deshalb war ihr Vater politisch aktiv und kritisierte die Diskriminierung der Muslime. 1984 wurde er tot aufgefunden. Die Umstände seines Todes sind bis heute ungeklärt, doch seine Tochter geht davon aus, dass politische Motive eine Rolle spielten.
Bürgerkrieg 1992: Zeit zu fliehen
Als 1992 der Bürgerkrieg in Bosnien aufflammte, verschärfte sich die Situation im Nachbarland Serbien weiter: Haugs Mutter verlor wegen ihrer Religionszugehörigkeit ihre Arbeit. "Die Stimmung in der Schule wurde für meine Schwester und mich unerträglich, weshalb wir entschieden, zu Hause zu bleiben", erinnert sich Haug. Panzer rollten durch die Straßen in Richtung Bosnien. "Als die Nachbarn anfingen, sich zu bewaffnen, wusste meine Mutter: Es ist Zeit zu fliehen."
In Deutschland, wo ein Onkel lebte, waren die Probleme aber nicht vorbei. "Mit unserer Fluchtgeschichte konnten die Behörden damals wenig anfangen. Unser Asylantrag wurde abgelehnt." Die Abschiebung drohte, doch "wir haben viele Menschen gehabt, Christen, Deutsche, die uns geholfen haben. Das hat mein Vertrauen wieder gestärkt und mir gezeigt, dass auch Christen gute Menschen sein können."
Heute leitet die 43-Jährige das Projekt "Interkulturelle und interreligiöse Bildungsarbeit" der Evangelischen Erwachsenenbildung Pforzheim, koordiniert die interkulturelle Woche und arbeitet im "Rat der Religionen" vor Ort mit. In diesem kommen Christen, Juden, Muslime, Jesiden und andere Gläubige zusammen.
Miteinander der Religionen
Die Beziehungen untereinander sind gut, es besteht Vertrauen zwischen den Akteuren. So erklärt sich Mirzeta Haug, dass es auch nach dem Angriff der Hamas auf Israel und dem anschließenden Gaza-Krieg möglich ist, trotz unterschiedlicher Meinungen im Nahostkonflikt weiter an einem Tisch zusammenzukommen.
"An anderen Orten sind die interreligiösen Beziehungen nach dem 7. Oktober 2023 abgebrochen. Ich finde es schön, dass wir es schaffen, uns trotzdem in unseren unterschiedlichen Meinungen stehen zu lassen, auch wenn das sehr herausfordernd sein kann."
Auch privat lebt Haug das Miteinander der Religionen: Sie ist mit einem evangelischen Mann verheiratet: "Das braucht viel Toleranz, Offenheit und viel Kommunikation von beiden Seiten."
Denn immer wieder stellen sich im Alltag ganz praktische Fragen, wie: Gibt es bei unseren Mahlzeiten Schweinefleisch? Oder: Feiern wir Ramadan oder Weihnachten, oder beides? Dem Ehepaar sei wichtig, dass die Kinder beide Religionen kennenlernen und dann später selbst entscheiden können, welcher Religion sie angehören und ob sie sich zum Beispiel taufen lassen wollen.
Viele wünschen sich mehr Kontakt
Als Geflüchtete kann sie sich gut in die Menschen hineinversetzen, die neu in Deutschland ankommen. Sie ist überzeugt: "99 Prozent aller Menschen, die hierherkommen, wollen in Frieden und in einem guten Miteinander hier leben."
Und viele wünschten sich auch mehr Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft - doch das ist nicht immer einfach:
"Auch ich musste damals drei Jahre warten, bis ich zum ersten Mal von einer Mitschülerin zum Geburtstag eingeladen wurde."
Andererseits sieht sie auch Zugewanderte, die schon gut integriert sind, in der Pflicht: "Wir können denjenigen, die hier ankommen, helfen, sich in dieser Gesellschaft zu integrieren. Weil wir beides kennen, und weil wir den Weg schon gegangen sind."
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Hm, die 99% sind wohl eher…
Hm, die 99% sind wohl eher eine grobe Schätzung, aber eine sehr große Mehrheit der Neubürger wollen tatsächlich vor allem ein gutes Leben führen und nicht negativ auffallen. Probleme entstehen einerseits durch den Rest, der aufgrund von fest gefügtem Weltbild, Kriegstrauma oder bewußter Entscheidung dazu nicht in der Lage ist oder sogar das Land zutiefst verachtet. Auch große Zahlen machen lokal Schwierigkeiten, denn auch wer gutwillig ist, braucht am Anfang Unterstützung um sich in der neuen Umgebung zu orientieren und das gelingt logischerweise schlechter, wenn die Zahlenverhältnisse ungünstig sind. Außerdem wird die Infrastruktur stärker belastet. Ein kleines eher harmloses Beispiel sind die vielen Essenslieferanten, die hier in der Großstadt unterwegs sind: Sie arbeiten extrem hart für eher sehr prekären Lohn. Sie erfüllen eine Dienstleistung, die andere offenbar gerne in Anspruch nehmen. Konflikte gibt es trotzdem, weil nun die Radwege, die nie dafür gedacht waren mit 100ten E-Mopeds besetzt sind (wer einmal bewußt beobachtet, sieht, dass es wirklich enorm viele sind), weil die Fahrer logischerweise nie eine örtliche Jugendverkehrsschule besucht haben und Sicherheitsabstände und Verkehrsregeln etwas anders auslegen, manche Regeln gar nicht kennen und zudem noch unter permanentem Zeitdruck stehen. Kurz: Radfahren und teilweise zu Fuß gehen in der Stadt ist deutlich stressiger und teilweise auch gefährlicher geworden und fühlt sich erst einmal richtig übel an. Ein Luxusproblem vor allem gegenüber Vertreibung und Bombenkrieg? Ja natürlich, aber ein Wandel, der nicht positiv wahrgenommen wird. Soll man nun E-Mopeds verbieten, den armen Teufeln den Job wegnehmen, sie mit Strafen überziehen, wo sie eh kaum etwas verdienen? Ist es eher eine gefühlte Bedrohung, weil man auf engem Raum zusammen gepfercht ist, während nebenan noch immer achtspurig die KFZ unterwegs sind? Wie viel Leid verursachen eigentlich letztere, das wir gewohnt sind und kaum wahrnehmen und als normal ansehen. Es ist wichtig solche Konflikte zu besprechen und zu lösen und auch einzuordnen und nicht wegzudrücken. Weder geht dadurch die Welt unter noch löst sich gerade für unsichere Personen einfach alles in Wohlgefallen auf. Ein Oberschenkelhalsbruch kann das Ende der eigenen Mobilität sein. Dabei hat hier erst einmal niemand böse Absichten, verachtet eine Kultur oder Menschen sondern versucht sich nur durchzuwursteln. Solche Beispiele gibt es viele: Bei der Klassenfahrt, auf Arbeit, im Sport und im sonstigen Alltag. Manchmal sind Mißverständnisse und Anpassungsprozesse auch lustig und führen zu Anekdoten, die man sich später erzählt, aber sie können auch anstrengend sein oder Streit und Unfälle verursachen. Weder ist alles furchtbar noch alles großartig. Beide Seiten müssen extra Leistungen erbringen und das sollte immer auch gewürdigt werden statt immer nur auf die Extreme und Troublemaker zu schauen. Für letztere braucht es bisweilen auch mehr Härte, denn leider ist eine stärker belastete Gesellschaft nicht in der Lage auch für sie noch alle Energien aufzubringen, wenn sie sich nicht überfordern will. Das ist durchaus auch ein Verlust, den man betrauern darf.