Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser.
Ich nehme eigentlich immer die Treppe. Mein Büro liegt im vierten Stock. Morgens laufe ich, mal telefonierend, mal pfeifend durch die Stockwerke. Manchmal auch müde und schwer. Auf jedem der Treppenabsätze, wenn es um die Kurve geht, komme ich an drei Fenstern vorbei. Sie sehen komplett identisch aus. Gleich groß, weiße Rahmen, schlicht, nah nebeneinanderliegend. Dieser Weg nach oben und die immer wiederkehrenden/sich wiederholenden drei Fenster haben für mich irgendwie einen schönen Rhythmus. Ich schau da auch gern kurz raus – auf die Raucher im Hinterhof, das Dach vom Anbau, Bäume, Häuserblocks und Himmel. Immer die gleiche Szenerie, nur der Blickwinkel ist jedes Mal ein bisschen anders …
Ich mag das. Ich mag auch die Zahl drei. Immer schon. Hat vielleicht mit meinem Geburtsdatum zu tun. Und weil wir daheim drei Schwestern waren, ich weiß nicht.
Ich weiß aber: Als Kind habe ich es toll gefunden, dass Gott und die Zahl drei was miteinander zu tun haben. Ich habe es nie problematisch gefunden, an die Heilige Dreifaltigkeit, zu glauben. Für mich hat das immer schön geklungen, wenn es im Gottesdienst hieß: Im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Dann war irgendwie alles "in Ordnung".
Und so geht es mir bis heute.
Ich liebe diesen Dreiklang. Er beschützt mich auch im Alltag, wenn ich an diesen drei Fenstern vorbeigehe, zum Beispiel.
Es erinnert mich wie nebenbei an die große Frage, wer ist Gott für mich.
Und die Fenster erinnern mich an noch etwas anderes, an eine Heilige und ihre Geschichte. Die Heilige Barbara. Und ihr drittes Fenster.
Um Barbaras Leben im 4. Jahrhundert ranken sich viele Legenden. Sie ist die Frau mit dem blühenden Zweig. Die Frau im Felsen und im Kerker. Und die junge schöne Frau im Turm. In den sperrt ihr Vater sie ein. Barbara soll geschützt werden - vor allem und jedem. Auch vor dem christlichen Glauben. Doch die Tochter trickst den Vater aus. Sie weiß Widerworte und schreibt sich Briefe mit dem berühmten Philosophen und christlichen Theologen Origines. Barbara will Christin werden . Und sie lässt einen vermeintlichen Arzt kommen, der ist Priester und tauft sie heimlich. In ihrem Turm. Dieser Turm hat bis dahin zwei Fenster. Als ihr Vater einmal länger auf Reisen ist, lässt Barbara ein drittes Fenster ins Mauerwerk schlagen. So zeigt sie: Ich bin Christin geworden, ich bekenne den dreieinigen Gott.
Wie ein Märchen klingt manches. Der Turm fast wie bei Rapunzel, die grausame Strenge des Vaters, die Schönheit und Stärke des Mädchens, Wunder, die geschehen. Später stirbt sie wie eine Märtyrerin.
Die Barbara-Zweige zu Beginn der Adventszeit blühen Jahr für Jahr und erinnern an ihre Glaubensgeschichte. Mutig sein. Den dreieinigen Gott bekennen. Mauern durchbrechen. Nicht Menschenmacht gehorchen – Gott suchen. Und das auch nach außen zeigen.
Liebe Leserinnen und Leser, ich mag dieses dritte Fenster.
Es dient zum Lichthereinlassen. Und zum Hinausschauen, was in der Welt los ist und zum Rauswinken… Barbara und alle Heiligen grüßen uns im Glauben an Gott, die Dreifaltigkeit
Schöpfer, Heiland, Trösterin.
Trinitatis – das Fest, das keiner kennt
Dieses Kirchenlied gehört zum heutigen Sonntag: Trinitatis heißt er, das Fest der Heiligen Dreifaltigkeit, der erste Sonntag nach Pfingsten. Trinitatis ist dann Namensgeber für die vielen Sonntage, die im Kirchenjahr bis in den Herbst hinein folgen. Sie werden einfach so durchgezählt und tragen so "fantasievolle" Namen wie Erster Sonntag nach Trinitatis, Dreizehnter Sonntag nach Trinitatis und so weiter. Das zeigt doch:
Gott als dreieinig, dreifaltig feiern, zieht sich durch, das geht weiter, Da ist nicht nur heute das eine Trinitatis-Fest im Jahr. Und noch dazu ein Fest, das keiner kennt.
Brüder und Schwestern, freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen, habt einerlei Sinn, haltet Frieden!
So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein. Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss. Es grüßen euch alle Heiligen.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! (2. Kor 13, 11-13)
Amen, will ich sofort sagen.
Brüder und Schwestern, freut euch!
Paulus schreibt da an die Leute aus der Gemeinde in Korinth. Es ist das Ende eines Briefes. Statt: mit freundlichen Grüßen, hochachtungsvoll, alles Liebe, um Antwort wird gebeten – endet sein Brief mit einem Segen: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
Ich freue mich, dass es um alle zusammen geht. Brüder und Schwestern. Und alle Heiligen grüßen. Tauschen heilige Küsse aus. So ist das, wenn der Gott des Friedens loslegt. Peace und Partystimmung? Nein, so war es nicht vor Ort in Korinth. Ganz und gar nicht. Trotzdem schreibt Paulus so. Extra.
Er grüßt sie und stellt sie alle zusammen unter Gottes Segen. In die Gnade von Jesus Christus und in die Liebe Gottes und in die Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Einfach so. Dreifach.
Die gesellige Gottheit
Paulus schreibt in diesem Briefschluss keine Abhandlung über die trinitarische Gotteslehre. Kein: So oder so ist Gott zu verstehen. So oder so habt ihr an Gott zu glauben.
Und so will ich ihn auch nicht lesen. Als wäre alles so klar mit Gott und verständlich.
Das wäre zu einfach. Gott aber ist dreifach.
Ein ZusammenGott.
"Die gesellige Gottheit am Werk
Von Ur an:
Gott in Geselligkeit,
Gott mit Sophia,
der Frau, der Weisheit,
geboren,
noch ehe alles begann. (…)Vom Anbeginn der Welt ist Gott bereits gesellig, so erzählt es die Bibel. Kurt Marti, Theologe und Poet, bedichtet und bekennt "Die gesellige Gottheit".
(…)
Fröhlich streckte Sophia Gott die Arme entgegen.
Und Gott tanzte mit.Am Anfang also Beziehung.
Am Anfang Rhythmus.
Am Anfang Geselligkeit.Und weil Geselligkeit: Wort.
Und im Werk, das sie schuf,
suchte die gesellige Gottheit sich neue Geselligkeiten.
Weder Berührungsängste noch hierarchische Attitüden.
Eine Gottheit, die vibriert vor Lust, vor Leben.
Die überspringen will
auf alles,
auf alle. (…)[1]
Nicht zusammenreißen - sich zusammentun
Zu diesem Song von der Band Bukahara tanze ich manchmal wie wild und singe lautstark mit. Afraid no more. Keine Angst mehr haben, den Schmerz nicht mehr spüren.
And let the world dance around me – und die Welt um mich herum tanzen lassen.
Vor drei Jahren bin ich mit meinem Mann auf dem Bukahara-Konzert in München gewesen. Ich weiß noch, wie ich an diesem Abend Schmerz und Traurigkeit herausgetanzt habe. Ich habe laut mitgesungen: I don´t want to feel this pain no more…Und es hat so gut getan. Um mich herum lauter feiernde Frauen und Männer, die meisten viel jünger als wir. Für diese Stunden gehören wir alle zusammen. Ich hab mich da geborgen, getragen gefühlt. Und gemerkt: Nicht Zusammenreißen hilft. Besser ist: Sich zusammentun.
Zusammenkommen mit anderen, auch wildfremden, etwas zusammen erleben. Musikalisch geht das auch ohne Tanzen und Mitsingen. Und auch mit Mozart, Bach und Schubert. Wenn man gemeinsam mit vielen anderen im Konzertsaal sitzt oder in einer Kirchenbank und alles um uns herum klingt. Und verbindet uns.
Für mich geschieht da auch etwas Biblisches. Frei nach Paulus:
Brüder und Schwestern, freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen, habt einerlei Sinn, haltet Frieden!
So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein.
Einsamkeit ist eines der größten gesellschaftlichen und gesundheitlichen Probleme unserer Zeit geworden. Sie verändert vermutlich sogar langfristig unsere Gene. Eine amerikanische Forscherin spricht vom Einsamkeitsfingerabdruck auf jeder Zelle[2] Vereinzelung, Einsamkeit hinterlässt Spuren, gräbt sich ein, belastet seelisch und sozial. Und diese Belastungen schaden auch der Demokratie.
Vor knapp zwei Jahren haben in Nürnberg Politikerinnen und Politiker, parteiübergreifend, eine Initiative gegründet, einen Pakt für Demokratie. "Zammrüggn" heißt die Initiative, also, auf Nicht-Fränkisch: Zusammenrücken. "Zammrüggn" steht auf Buttons und Plakaten, und unter diesem Namen, mit dieser Haltung wollen sie in ihrer Region demokratisches Denken und Tun stärken. Sich an einen Stammtisch Demokratie setzen, reden, zuhören, mit Respekt, über Parteigrenzen hinweg, sich gegen Hass und Spaltung verbünden. Zammrüggn, denn vereinzelte Angst und Unsicherheit wächst und wuchert. Zusammen unterwegs sein ist heilsam. Für das Zusammenleben in einer Gesellschaft und für die eigene Gesundheit. Es gibt Länder, da kann man Soziales Miteinander quasi auf Rezept bekommen. "Social Prescribing" in Großbritannien oder in den Niederlanden "Wohlbefinden auf Rezept".
Denn: "Jede Person, mit der Sie interagieren, ist symbolisch eine Interaktion mit der gesamten Menschheit. Menschliche Verbindungen sind wie Hände, die einen zurück ins Leben ziehen."[3]
Für mich hat das alles mit Gott zu tun.
Ich finde es großartig, als Christin an einen Gott zu glauben, der sich mit sich selbst zusammentut, in sich selbst nicht einsam, nicht vereinzelt, nicht abgeschottet und starr ist. Klar, die trinitarische Formel und die vielen klugen Schriften darüber – das alles ist ein Konstrukt. Eins plus Eins plus Eins ist gleich Eins. Meinetwegen. Aber auch egal. Gott, die Liebe, taugt nicht als Rechenbeispiel. Gott, die Liebe, ist Wunder durch und durch, ist Beziehungsgeflecht, Gespräch und Tanz. Sie zieht sich nicht in sich selbst zurück, ist immer in Bewegung.
Als würde Gott es uns Menschen vorleben:
Zusammensein.
Vielfältig sein – gegen alle Einfalt, gegen Gleichmacherei – Gott, die Liebe, herrlich vielfältig, heilig dreifaltig.
Die heilige Dreifaltigkeit verlockt, immer wieder darüber nachzudenken, wer Gott ist und wie…
Ich sehe darin eine großzügige Einladung an uns alle: Seid einfallsreich gegen Langeweile, gegen Vereinzelung und gegen Gewalt. Bleibt im Gespräch. Bewegt euch.
Und noch etwas entdecke ich in der Dreifaltigkeit: Auch wenn Gott, die Liebe ist…. Da ist Raum für eine andere Seite – für Rache und Zorn. In Gott. Vor ein paar Wochen auf dem Kirchentag (DEKT) habe ich einen Mann, der von sexualisierter Gewalt betroffen ist, auf einem Podium sagen hören, wie ihm sein Glaube an Gott und die Liebe Gottes entglitten sind. Bis er begriffen hat: Ich muss mir nicht einreden lassen, dass ich meinem Peiniger schön christlich vergebe. Im biblischen Gottesbild ist Platz für den Zorn Gottes. Auch diesen Freiraum schenkt der Glaube an die Dreifaltigkeit.
Drei Stimmen, drei Blickwinkel, drei Zugangsweisen.
Immer wenn du meinst, du hast verstanden, wer und wie Gott ist, entdeckst du wieder was Neues. Gott, der Vater, nein, oder die Mutter, auch nicht nur, der Sohn, ja, aber auch noch der Geist, alle drei und auch was zwischen den dreien geschieht. Alles Gott.
Eine Gemeinschaft.
Jede Gesellschaftsform bedeutet Gemeinschaft/Communitas und Struktur. Struktur ist kognitiv, sie schafft Ordnung, juristisch, politisch. Communitas/Gemeinschaft ist existenziell, sie zeigt sich in Kunst und Religion, sie schafft Neuordnung.[4]
Wenn ich das auf die Dreifaltigkeit beziehe, dann ist das für mich kein Entweder-Oder. Ich danke den Kirchenleuten der ersten Jahrhunderte für ihr Ringen und Verhandeln, für ihr Beten und Festhalten. Sie haben gefragt: Wie können wir gemeinsam den Glauben an Gott bekennen? Haben die unterschiedlichen Herkünfte, Strömungen berücksichtigt und nach Einheit gesucht und die trinitarische Formel gefunden: Gott - Schöpfer, Christus, Geistkraft. Diese Struktur hält uns als Christenheit bis heute zusammen. Aber innerhalb der Struktur – da ist Raum für sehr viel Verschiedenes. Da begegnen wir einander und Gott immer wieder neu. Zammrüggn.
Wie in einem schwungvollen Tanz. Im dreifaltigen Dreivierteltakt. In den alten klösterlichen Gesängen ist das der Dreifaltigkeitsrhythmus. Der wiegende Dreiertakt beruhigt, hilft gegen Angst, schenkt Vertrauen. Vielleicht macht er auch glücklich…Wie Walzer tanzen. Wenn alles Schwung und Drehen ist, wenn die Tanzenden selbstvergessen schweben.
Einüben und lernen gehört auch dazu. Sich führen lassen und führen.
Brüder und Schwestern, freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen, habt einerlei Sinn, haltet Frieden!
So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein.
Als ich Walzer tanzen gelernt habe, hat die Lehrerin immer gesagt: Beim Wiener Walzer führt ihr euch immer im Wechsel. Ich bin dran, du bist dran. Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei.
Auch das erinnert mich an den dreieinigen Gott. Da ist nicht einer oder eine allein am Zug, alles geht wechselseitig.
So und nicht anders wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein.
Gott, der uns Menschen den Heiligen Odem einbläst. Und uns in dieses Leben küsst.
Zammrüggn – im Liebesraum Gottes
Im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Wer sich bekreuzigt, spricht diese Worte, manchmal lautlos. Und es ist wie ein Einhüllen in Gott. Alle Drei da, alles gut.
Im Gottesdienst geht es mir auch so. Wenn ich diese Worte höre oder spreche, dann bin ich nicht allein. Dann steht Gott dreifaltig, dreifach, vielfach, wunderbar um mich herum. Nicht nur rechts-links oder vorne-hinten. Wie ich mich dreh und wende, wo auch immer ich hinschaue oder mich fallen lasse, da ist immer eine da.
Tritt ein in den Liebesraum des Dreieinigen Gottes, heißt es in der Regel einer evangelischen Communität.
Erinnern Sie sich noch an den "Einsamkeitsfingerabdruck auf jeder Zelle"?
So soll es nicht sein. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes die sind doch mit uns allen!
So macht es Gott: Er verschönert uns mit dem DreifaltigkeitsFingerabdruck.
[1] aus: Kurt Marti, Die gesellige Gottheit – ein Diskurs. Radiusverlag, Stuttgart 1989, S.7-9 i.A.)
[2] Susan Pinker, zit bei Ronja von Wurmb-Seibel, Buchtitel s.u., S.38
[3] Phil Stutz, zit. bei Ronja von Wurmb-Seibel, S.56)
[4] vgl. Victor Turner, zitiert bei: Ursula K. Le Guin, Am Anfang war der Beutel, S. 42
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