Die deutschen Begriffe Ableismus und ableistisch leiten sich zunächst vom englischen Begriff ableism ab. Dieser setzt sich zusammen aus "able" (Englisch für fähig) und dem Suffix "ism" (analog zu -ismus im Deutschen, wie beispielsweise in Rassismus oder Sexismus). Der Begriff Ableismus wurde erstmals Anfang der 80er Jahre verwendet.
Man könnte Ableismus grob mit Behindertenfeindlichkeit übersetzen, aber hinter dem Konzept steckt mehr. Es beschreibt ein Weltbild, in dem menschliche Körper und damit auch Menschen an sich in Kategorien eingeteilt und nach ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten beurteilt werden.
Behinderte Menschen werden in diesem Weltbild als Abweichung von einer konstruierten Norm verstanden und abgewertet. Dies geht über reine Feindseligkeit hinaus und kann auch im Gewand vermeintlicher Fürsorge oder Freundlichkeit daherkommen. Grundsätzlich macht es behinderte Menschen zu Objekten, über die mehr oder weniger verfügt werden kann oder sogar verfügt werden muss.
Es findet also, ebenfalls analog zu Sexismus oder Rassismus, eine Form der Hierarchisierung statt, bei der eine bestimmte Gruppe von Menschen, in diesem Fall solche mit gesunden, nicht behinderten Körpern, an der Spitze stehen. Alle anderen müssen sich demzufolge weiter unten einordnen.
Formen des Ableismus
Ableismus kann sehr unterschiedliche Formen annehmen. Das extremste Beispiel ist die sogenannte Euthanasie während des deutschen Nationalsozialismus, bei der Menschen mit Behinderungen systematisch ermordet wurden. In diesem Fall äußert sich Ableismus als offene Vernichtungsphantasie, die leider auch in die Praxis umgesetzt wurde.
Aber auch vermeintlich harmlosere Formen von Ableismus haben ganz konkrete Folgen für die Betroffenen: Viele Bereiche des öffentlichen Lebens sind nach wie vor nicht barrierefrei. Zugänge zu Gebäuden, Aufzüge in U-Bahnhöfen, Straßenüberquerungen – all das kann zum Hindernis werden. Ableismus wirkt hier eher subtil oder systematisch: Bei der Stadtplanung werden behinderte Menschen einfach nicht mitgedacht, es wird von einer nichtbehinderten Norm ausgegangen.
Im Arbeitsleben zeigt sich Ableismus beispielsweise in Form von Ausbeutung. In sogenannten Behindertenwerkstätten gelten die Mindestlohnregelungen nicht. In der Praxis kann das dazu führen, dass Menschen dort 40 Stunden in der Woche für etwa 10 Euro im Monat arbeiten. Der Irrglaube, behinderte Menschen könnten keine sinnvolle Arbeit leisten, führt dazu, dass Ausbeutung nicht nur hingenommen, sondern sogar als Hilfe verklärt wird.
Auch im sozialen und kulturellen Leben finden wir verschiedene Formen von Ableismus. So werden Schauspieler*innen mit Behinderung oft nur für Rollen eingesetzt, in denen die Behinderung und nicht die Person im Vordergrund steht. Und, wie das aktuelle Beispiel von Luke Mockridge oder vor kurzem auch Felix Lobrecht zeigt, halten einige Komiker es nach wie vor für witzig, behinderte Menschen abzuwerten.
Ableismus ist strukturelles Problem
Das sind nur einige Beispiele für gesellschaftliche Bereiche, in denen Menschen von Ableismus betroffen sind. Im Grunde gibt es keinen, wo ableistische Diskriminierungen und Vorstellungen nicht auftauchen können. Denn es ist, genau wie Rassismus oder Sexismus, ein strukturelles Phänomen.
Offener Hass gegen rassifizierte Menschen, gegen Frauen oder gegen behinderte Menschen sind nur die Spitze des Eisbergs. Viel häufiger, und für das Leben vieler Betroffener entscheidender, treten subtilere oder gar gut gemeinte Formen auf.
Ein gutes Beispiel für vermeintlich gut gemeinten Ableismus war die Kampagne #OrteFürAlle der Aktion Mensch. "Menschen haben keine Behinderung. Orte schon", hieß es 2021 dort. Ziel der Kampagne sollte mehr Barrierefreiheit sein. Inklusions-Aktivist*innen wie Luisa L'Audace, Alina Buschmann und Evilina Enfer kritisierten die Umsetzung der Kampagne allerdings scharf.
Ihre Kritik brachte L'Audace folgendermaßen auf den Punkt: "Wir setzen uns seit Jahren dafür ein, dass 'behindert' als neutrale Selbstbezeichnung anerkannt wird. Und nun wird es wieder negativ verknüpft – mit etwas, das beseitigt werden soll."
Auf den Punkt
Kurzum: Mit dem Begriff Ableismus wird sichtbar gemacht, dass behinderte Menschen nicht einfach nur unter der Ablehnung einiger weniger feindseliger Menschen zu leiden haben. Vielmehr sind sie einer strukturellen Diskriminierung ausgesetzt, die sie in allen Lebensbereichen abwertet, unsichtbar oder sprachlos macht.
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