Da ist dieser ältere Junge im Basketball-Training, der Toni irgendwie nicht leiden kann. Nach dem Umziehen schubst er seinen Mannschaftskollegen in die Abstellkammer, versperrt die Tür – und schaltet das Licht aus. Es dauert eine Ewigkeit, bis die Trainerin den verzweifelten Teenager befreit. Und in der nächsten Woche geht die Schikane einfach weiter. Toni, der in Wirklichkeit anders heißt, hat seine Leidensgeschichte dem "Klub der Gewinner" anvertraut. Meinem Medienprojekt für Jugendliche, das das unbequeme Thema zum Gespräch macht: Mobbing.
Daniel, einer der Jugendlichen, leiht Toni seine Stimme, spricht seine Schilderungen im Wortlaut nach. Tritt in gestellten Szenen auf: rüttelt am Türgriff, resigniert neben Putzeimer und Besen – und atmet auf, als das Licht endlich wieder angeht. Auch Daniel selbst hat, wie viele, die sich an dem Projekt beteiligen, in seiner Schulzeit Mobbing erlebt.
Laut der aktuellen PISA-Studie der OECD gibt ein Fünftel der 15-Jährigen in Deutschland an, mehrmals im Monat von Mobbing betroffen zu sein. Viereinhalbtausend Mal wendeten sich Jugendliche 2023 mit dem Thema an die "Nummer gegen Kummer", in etwa fünf Prozent aller Beratungsgespräche. Die Hotline ist eines der wenigen Angebote des Bundes, die Mobbing-Betroffenen zugutekommen sollen. Schulen seien Ländersache, erklärt Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion. Schenkt die bayerische Landesregierung dem Problem die nötige Aufmerksamkeit?
Bei Weitem nicht, sagt Marica Münch vom Caritas-Pirckheimer-Haus (CPH) in Nürnberg, die als Sozialpädagogin Klassen und Lehrkräfte mit dem Programm "Mobben stoppen!" schult. Es mangele an Geld, Zeit und Wissen. Viele Lehrerinnen hätten nie gelernt, wie sie mit Mobbing umgehen sollen. Nichtstaatliche Präventionsprogramme, wie das vom CPH, bangen um die Finanzierung, obwohl die Nachfrage die Kapazitäten übersteigt. +
Und an vielen Schulen fehlten noch immer feste Anlaufstellen: "Seit den 80ern empfehlen Wissenschaftler, dort Teams gegen Mobbing aufzubauen", sagt Münch.
"Mit Experten aus der Lehrerschaft, der Schulsozialarbeit, vielleicht dem Elternbeirat und der Schülermitverwaltung." Oft sei es aber immer noch Glücksspiel, ob Betroffene in der Schulfamilie adäquate Hilfe erhalten. "Und Einzelkämpfer können diese strukturellen Defizite nicht ausgleichen."
Das Medienprojekt "Klub der Gewinner" legt den Finger in die Wunde. Junge Betroffene kommen auf unterschiedlichen Kanälen zu Wort, erzählen die wahren Geschichten mit- und füreinander: bei Themenabenden, mit einem eigenen Kurzfilm, der 2022 Premiere feierte, oder im Netz auf der gleichnamigen Homepage.
Lea erzählt die Erlebnisse einer Freundin nach, die ein halbes Jahr lang psychische und körperliche Gewalt durch Gleichaltrige erlebt hat – und noch drei Jahre später unter den Folgen leidet. "Ich nehme jeden Tag Medikamente", sagt sie, als sie vor dem Badezimmerspiegel zur Tablettenschachtel greift. "Posttraumatische Belastungsstörung, Depressionen. Einmal die Woche bin ich beim Therapeuten."
In Nürnberg und Würzburg flackerte unser Streifen über die Leinwand, wurde mit Jugendfilmpreisen prämiert. Das macht Mut: Vermeintliche ‚Loser‘ brechen das Schweigen, um Andere zu sensibilisieren, erobern dabei den roten Teppich. "Das Projekt hilft mir, mit der Vergangenheit abzuschließen", sagt Charlotte, die sich von Anfang an in den ‚Klub der Gewinner‘ eingebracht hat, "und meinem jüngeren Ich zu zeigen, dass man etwas bewirken kann." Und wir alle profitieren, weil Mobbing jeden treffen kann.
"Mobbing vergiftet das Klima", sagt Marica Münch. Die Angst mindere die Leistung der ganzen Klasse. Betroffene suchen die Schuld oft bei sich, wie Mustafa Jannan in seinem "Anti-Mobbing-Buch" schreibt. Die Opferrolle aber wird ihnen durch das soziale Umfeld aufgezwungen. Umstehende werden zu Mittäterinnen oder stummen Zeugen. Aufklärung kommt damit eine zentrale Rolle zu. Um Betroffenen zu zeigen, dass sie nicht verantwortlich sind für ihr Leid, und um das Umfeld zu sensibilisieren: Seht genauer hin!
Gerade werben wir dafür in unserer Heimat Mittelfranken um Alliierte: In den kommenden Monaten wollen die Jugendlichen buchstäblich Gesicht zeigen. Gemeinsam arbeiten wir an Claims und Plakatmotiven für Roth und die Region. Werbetafeln mit Porträtfotos sollen auf die Grundregeln gegen Mobbing hinweisen: aufmerksam zu sein, Betroffenen zuzuhören und Verdachtsfällen konsequent nachzugehen.
Interessierte Vereine, Apotheken oder Arztpraxen, aber auch Einzelhändler und Gastronomen erhalten eigens erstelltes Infomaterial, um auf das gesamtgesellschaftliche Problem aufmerksam zu machen. Wer sich an der Aufklärung beteiligt, darf ein leuchtend gelbe Kampagnenlabel ins Schaufenster kleben – und sich "Gewinner" nennen.
Link-Tipps
Onlinevoting: Noch bis Sonntagabend, 29. September, sammelt Paul Krauß Stimmen beim bundesweiten "Movers of Tomorrow Award", einem Publikumspreis der Allianz-Stiftung für junge Engagierte. Die Teilnahme am Online-Voting ist mit wenigen Klicks möglich: bei Instagram unter @klubdergewinner oder im Netz.
Link zur Antwort der Bundesregierung zum Thema Mobbing
Link zu den wahren Mobbing-Geschichten von Daniel, Lea und Co.
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden