Es gibt diesen einen Satz. Ich sage ihn ungefähr dreimal im Jahr. Manchmal auch nur zweimal. Er lässt meinen Mann erstarren. Manchmal verschluckt er sich. Aber immer weiß er: Jetzt muss er sehr, sehr vorsichtig sein mit dem, was er als nächstes sagt. Ich hole dann tief Luft und sage betont beiläufig: "Schatz, wir müssen noch über den Urlaub reden!"

Urlaub ist eine meiner Hasslieben: Ob wir wegfahren können (können wir es uns leisten? Schafft das Auto das noch?), wohin wir fahren könnten (Italien? Aber im Sommer? Frankreich? Aber soweit weg? Doch nach England zu unserer Freundin Nadine?), wie lange (das Geld!), Hotel, Camping, Bauernhof? Wie können wir uns am besten entspannen (naja, mit drei Kindern eigentlich gar nicht?!), wann sollten wir buchen?

Ich liebe es, mir Gedanken über diese Fragen zu machen und noch mehr liebe ich es, Ferienwohnungsportale zu durchsuchen wie eine Goldgräberin und schließlich stolz meine besten Funde zu präsentieren: "Schau mal, das is' total nah am Meer und es gibt sogar eine Badewanne!" Nur leider folgt im selben Atemzug auch das gesamte Ausmaß meiner Verzweiflung: Es ist zu teuer, die Fahrt dauert zu lange, die Kinder werden es nicht mögen – und überhaupt, Ferien zuhause sind doch eh viel schöner, oder?!

Urlaub woanders ist wunderbar, aber

Mein Mann kann bei diesen Selbstgesprächen, die ich da führe, eigentlich nur das Falsche sagen. Denn eigentlich führe ich diese Auseinandersetzung allein mit mir selbst: Meine Sehnsucht nach Espresso in einer italienischen Kaffeebar morgens um halb neun in Florenz diskutiert mit dem Wunsch, mit den nackten Füßen im Atlantik zu stehen, die salzige Luft zu schmecken. Ich finde Urlaub woanders wunderbar, aber meine Kinder wären mit jeden Tag Freibad und Eis zuhause eigentlich genauso glücklich und ich könnte mir für das Geld jede Woche zwei neue Bücher kaufen im nächsten Jahr, was mich wiederum genauso glücklich macht, aber dann kann ich sie nicht am Meer lesen und überhaupt wollte ich schon immer mal mit dem Wohnmobil nach Elba, aber wir haben keines, wir könnten eines mieten, weißt Du, wie viel das kostet?!

Urlaub ist die Pause vom Alltag. Es ist Alltag woanders. Es ist woanders dieselbe sein wie zu Hause. Es ist mein Zuhause auf Zeit. Es ist Zeit haben für den zweiten Kaffee zum Frühstück, es ist Einkaufen in einem Supermarkt, wo ich die Schilder nicht lesen kann, es ist drei Bücher pro Woche und sich auf zu Hause wieder freuen können. Urlaub ist ein Privileg, hart erstritten von den Gewerkschaften vor über 100 Jahren. Urlaub gibt es auf dem eigenen Balkon, im Bett, am Küchentisch. Urlaub ist Träumen, Weglaufen, Wiederkommen. Für mich ist Urlaub Kindheitserinnerung, eiskalte Twix im Wohnwagen-Kühlschrank, Piniennadeln im Schlafsack und nachts im Regen wieder ankommen. Für mich ist Urlaub heilig. Weil ich mich woanders sehen will, weil ich die Möglichkeit außerhalb des Müssen nicht vergessen will. Ich brauche keine Museen, keine Ausgrabungsorte, ich liebe den Blick in fremde Küchen. Ich kann mich nicht entscheiden zwischen Ruhe und Trubel und das kenn ich von mir schon. Ich bin im Urlaub keine andere, aber ich könnte es sein.

Bullerbü-Romantik, die das Landleben nicht abbildet

Inzwischen ist es Mitte August. Nächste Woche fahren wir mit den Großeltern zusammen auf einen Campingplatz. Vier Tage draußen sein, zu früh aufwachen, mit fremden Leuten zum Zähneputzen gehen. Ich liebe es. Für meine Kinder wird der Urlaub, den wir zu Ostern gemacht haben, vielleicht der Schönste sein: Ein Bauernhof direkt am Fluss. Mit Pferden, Kühen und Hühnern. Sogar die Ich-bin-eigentlich-schon-ein-Teenager-Tochter hat morgens als erstes nach frischen Eiern geschaut und den Kleinsten haben wir eigentlich gar nicht mehr nach drinnen bekommen.

Und klar, da war ne Menge Bullerbü-Romantik dabei, die das Landleben und die wirtschaftliche Realität kleiner Höfe sicher nicht abbilden kann. Und trotzdem: Für meine Kinder war es ein Stück Freiheit: nirgends wohin müssen, der Tag richtet sich nach Fütter- und Melkzeiten. Dazwischen die schmutzigen Füße in den Fluss hängen lassen oder wagemutig in ein wackeliges Ruderboot steigen. Die Erwachsenen halten die Gesichter in die Sonne. Und auch da: Du musst jetzt nirgends hin. Nirgends ist gerade etwas zu tun oder zu versäumen. Das Wichtigste sind wir und das Jetzt und Hier (haben schon die Wise Guys gesungen). Bleib einfach hier, das ist gut so.

Jetzt bist Du hier

Vielleicht ist es das, was auch ich selber so sehr brauche im Urlaub: Jetzt bist Du hier. Nicht inmitten der Fragezeichen deines Lebens, sondern ein ganz kleines Stück daneben. Du bist hier, wenn Du magst, auch den ganzen Tag. Auf dem Bauernhof, an der Strandbar, im Hotelzimmer im 12. Stock. Du musst nichts verbessern und versuchen, jetzt im Moment kannst Du eh nichts ändern an Deinen Terminen, Deinen Unterlagen, Deinen Mails und verpassten Chancen.

Und irgendwie passt das erschreckend gut zu all den Fragen, die ich mir vor dem Urlaub stelle: Denn sie kreisen um Möglichkeiten, bessere Alternativen und die Angst, bei all dem einen Fehler zu machen. Wie geht das beste Leben, die richtige Entscheidung? Es ist nur Urlaub? Nein, manchmal nicht. Manchmal steht dahinter die Frage, wie es weitergehen soll im Jetzt und Hier. Und manchmal muss man genau dafür ein bisschen weg sein. Zum Ankommen in Deinem ganz eigenen Richtig, abgesehen von den Richtigkeiten der anderen.

Ich mag den Gedanken, dass auch das Christentum das Konzept Urlaub kennt. Es hat natürlich einen etwas gelehriger wirkenden Namen: "Exerzitien". Aber eigentlich geht es um dasselbe: Um Zeit für Deine Fragen, fürs Bleiben im Hier und Jetzt an einem selbstgewählten Woanders. Ums Hören - auf die Stille, das Rauschen der Bäume, auf das leise Wehen Gottes in Deinen lautlosen Gebeten am Morgen. Du kannst dabei das Gesicht in die Sonne halten oder Deinen Espresso langsam austrinken. Du kannst mit Deinen Kindern am Lagerfeuer sitzen oder allein in der Kirchenbank. Ich bin mir sicher, wir brauchen das. Zweimal oder auch dreimal im Jahr. Um immer wieder in unserem Leben ankommen zu können.

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